Sprachentwicklung bei Mehrsprachigkeit und was Eltern tun können, um die mehrsprachige Entwicklung ihres Kindes zu unterstützen

Etwa 33 Prozent der in Deutschland lebenden Kinder unter fünf Jahren haben einen Migrationshintergrund und wachsen mit zwei oder mehr Sprachen auf. Dadurch verfügen sie bereits im Kindergartenalter über einen reichhaltigen Wortschatz und sammeln früh wichtige interkulturelle Erfahrungen. Neben der Fähigkeit fließend in beiden Sprachen kommunizieren zu können, zeigen sich zahlreiche weitere positive Effekte wie beispielsweise eine erhöhte Flexibilität und Konzentrationsfähigkeit im Alltag.

Kinder, die bereits in den ersten drei Lebensjahren mit zwei Sprachen aufwachsen, da ihre Eltern unterschiedliche Muttersprachen besitzen, werden als simultan bilinguale Kinder bezeichnet. Der Erwerb beider Sprachen ähnelt dem Spracherwerb einsprachig aufwachsender Kinder, jedoch zeigen sich u.a. Besonderheiten bei der Aussprache. Auftretende Mischungen beider Sprachen, wie beispielsweise „Ich gehe zum supermarket“ oder „I have my brother gesawt“ sind keinesfalls ein Zeichen von Überforderung, sondern werden als kreativer Gebrauch der gesamten sprachlichen Kompetenz gesehen. Im Gespräch können so Wortschatzdefizite in einer Sprache durch den Einsatz von Wörtern aus der jeweiligen anderen Sprache kompensiert werden. Dadurch gelingt es den Kindern die Kommunikation mit ihrem Gegenüber trotz Wortschatzlücken aufrecht zu erhalten.

Im Gegensatz zu simultan bilingualen Kindern lernen sukzessiv zweisprachige Kinder in den ersten drei Lebensjahren ausschließlich ihre Muttersprache, bevor später eine weitere Sprache hinzukommt, z. B. wenn ein muttersprachig nicht-deutsches Kind ab drei Jahren einen deutschsprachigen Kindergarten besucht.
In den ersten Tagen und Wochen in denen die Kinder Kontakt mit der Zweitsprache haben, verwenden sie nonverbale Möglichkeiten der Kommunikation wie Mimik und Gestik und machen sich passiv mit der Sprache vertraut, bevor sie frequente Alltagsphrasen („Guten Morgen!“, „Ich habe Durst.“) wiederholen und sich diese aneignen. Im Verlauf treten Wortkombinationen auf und es entstehen erste kurze Sätze. Obwohl einem Großteil der sukzessiv zweisprachigen Kinder das Sprechen und Verstehen der Zweitsprache nach ca. zehn Monaten intensiven Sprachkontakts möglich ist, erfolgt die Aneignung grammatikalischer Besonderheiten separat und über einen längeren Zeitraum hinweg. Unsicherheiten wie beispielsweise der korrekte Gebrauch von Artikeln können bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben.
Entscheidend für die Effektivität und die Geschwindigkeit mit der sukzessiv zweisprachige Kinder die zweite Sprache erlernen, ist neben der Qualität auch die Attraktivität der Zweitsprache. Eine hohe Qualität wird häufig nur von Personen erreicht, die in ihrer Muttersprache sprechen. Je mehr die Zweisprachigkeit des Kindes von den Bezugspersonen in der Familie und im Kindergarten geschätzt wird, desto besser gelingt ihm der Erwerb der zweiten Sprache.

Wie können Eltern die mehrsprachige Entwicklung ihres Kindes unterstützen?
Damit das Kind beide Sprachen voneinander unterscheiden kann, ist eine klare Struktur wichtig. Dabei sollte jedes Elternteil konsequent in der eigenen Muttersprache mit dem Kind sprechen. Für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes ist die Kommunikation in der Muttersprache von großer Bedeutung, da sich nur so eine intuitive und echte Eltern-Kind-Beziehung entwickeln kann. Sprechen beide Eltern unterschiedliche Muttersprachen, sollte eine gemeinsame Familiensprache festgelegt werden. Eine weitere Möglichkeit ist auch, dass die zwei Sprachen in verschiedenen Situationen verwendet werden, wie beispielsweise Türkisch zu Hause (Familiensprache) und Deutsch während des gemeinsamen Einkaufens (Umweltsprache). Neben der bereits erwähnten hohen Qualität des Sprachangebotes ist es für den erfolgreichen Erwerb wichtig, dass das Kind beide Sprachen sehr oft und sehr früh im Spracherwerb hört.

In der Praxis sehen wir sowohl simultan bilinguale, als auch sukzessiv zweisprachige Kinder, wobei der Anteil Letzterer, die mit der Zweitsprache Deutsch erst später in ihrer Entwicklung in Kontakt kommen, überwiegt. Um herauszufinden ob eine Sprachentwicklungsstörung vorliegt oder ob das Kind die Zweitsprache Deutsch noch nicht so gut beherrscht, weil der Kontakt mit ihr bisher wenig intensiv war, müssen die Fähigkeiten des Kindes in beiden Sprachen untersucht werden. Neben dem Einsatz von diagnostischen Hilfsmitteln, die zur Erfassung der nicht-deutschen Muttersprache zur Verfügung stehen, ist eine ausführliche Befragung der Eltern unabdingbar. Anhand der Ergebnisse kann beurteilt werden, ob eine Sprachtherapie notwendig ist. Anschließend erstellen wir ein individuelles Therapiekonzept, bei dem auch Sie als Elternteil eine entscheidende Rolle spielen.
In einem ausführlichen Elterngespräch beraten wir Sie gerne, wie sie die mehrsprachige Entwicklung ihres Kindes bestmöglich unterstützen können.

 

Literatur:
Asbrock, D. (2006). Frühkindliche Zweisprachigkeit. Bielefelder Institut für frühkindliche Entwicklung. Diagnostik und Intervention e.V.
Lengyel, D. Sprachentwicklung bei Mehrsprachigkeit. Deutsche Gesellschaft für Sprachheilpädagogik e.V. (dgs) und Deutscher Bundesverband der akademischen Sprachtherapeuten e.V. (dbs)
Bildnachweis: https://kinderzeit-bremen.de/familienzeit/bildung/mehrsprachig-ist-viel…